Türkis-Blau im Gespensterkampf

Türkis-Blau im Gespensterkampf

Der Standard
02. März 2019

Kickl gibt der Regierung und Kanzler Kurz Rahmen und Richtung vor

Die Regierung lebt seit mehr als einem Jahr davon, das Gespenst der Überflutung Österreichs mit Migranten und Asylwerbern vorzuführen und am Leben zu erhalten – egal, wie sich die Zahlen der Migranten und Asylwerber tatsächlich entwickeln. Immer dann, wenn etwas anderes, allenfalls Unangenehmes für die Regierung tunlichst in den Hintergrund rücken oder als Thema erst gar nicht brennend werden soll, kommt das nächste Scheit unter das Migrations- und Asylthema. Und es ist Herbert Kickls Aufgabe – selbstgewählt oder von Sebastian Kurz' Zentralregierung zugewiesen? -, das Feuer am Brennen zu halten.

Präventivhaft für Asylanten

Als geradezu genial erweist sich dabei sein Vorstoß für eine "Präventivhaft für gefährliche Asylanten". Das ist ein Thema, das genügend erregten Widerspruch erzeugt, um mehrere Tage Schlagzeilen zu machen. Wieder kann sich der Innenminister und können sich seine Regierungskumpane als Helden im Kampf für die Sicherheit der Österreicherinnen und Österreicher zeigen, indem ein übergroßes blutrünstiges Gespenst, natürlich im Asylgewand, vorgestellt wird. Diesmal ist dieses Gespenst offenbar derart attraktiv, dass auch der burgenländische Landeshauptmann und ehemalige Möchtegern-Innenminister Hans Peter Doskozil aufspringt und Kickls Königsidee noch um den Ergänzungsvorschlag bereichert, dass die Präventivhaft auch für gefährliche Österreicher angewendet werden solle.

Torpedo gegen Rendi-Wagner

Was zuerst allenfalls wie ein Torpedo wirken konnte, ein Torpedo gegen Kickls Vorschlag, weil doch wohl kaum jemand Österreicher präventiv einsperren wolle, zeigt sich dann als Torpedo für die eigene Partei und deren Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner. Was Doskozil und der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig, der auch noch rasch bemerken musste, dass Doskozils Meinung keinesfalls eine Einzelmeinung sei, dabei zeigten, ist, wie verführerisch der rechtspopulistische Weg auch für Sozialdemokraten ist. Damit hat Kickl nicht nur das Gespenst intensiv belebt, das Bild der heldenhaft gegen Gefahr kämpfenden Regierung poliert, sondern zugleich auch noch die Opposition in selbstzerstörerische Debatten gestürzt. Dass es bei seinem Vorschlag sowohl um einen Bruch mit grundrechtlich gesicherten Freiheitsrechten geht als auch um eine sinnlose Konzeption, bleibt nicht zuletzt dadurch verborgen, dass man gegen Gespenster keine echten Maßnahmen braucht. Der Schein genügt. Denn gegen wen und unter welchen Umständen soll denn das neue Instrument zum Einsatz kommen? Nehmen wir an, ein Asylwerber ziehe vergewaltigend und messerstechend durchs Land und erwiese sich so als gefährlicher Asylwerber. Wenn die Polizei seiner habhaft würde, würde er zweifellos schon heute verhaftet und in Untersuchungshaft behalten (wegen Wiederholungs- und Fluchtgefahr) und schließlich zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Da braucht es keine Präventivhaft. Ist aber andererseits der Täter bisher unbekannt oder nicht zu fassen, hilft das Instrument ebenfalls nicht. Egal. Es muss auch gar nicht wirksam sein. Es ist für heldenhafte Überhöhung Kickls und der Regierung gut genug und wird der Opposition noch ordentlich Kopfzerbrechen bereiten.

Wer soll die noch wählen?

Denn eines ist auch klar: Wenn die größte Oppositionspartei bei angekündigten Grundrechtsverstößen schweigt und die Möchtegernhelden in ihren Reihen der Versuchung erliegen, den rechtspopulistischen Weg der Regierung mitzugehen, wer soll diese Partei dann noch wählen? Für den Gespensterkampf sind die FPÖ und die Kurz-Regierung hinreichend gerüstet. Die brauchen die SPÖ nicht. PS: Interessant auch die Bemerkung von Bundeskanzler Sebastian Kurz in einer anderen Frage von äußerster Bedeutung, den konfessionellen "Feiertagen": Mit der von der Regierung beschlossenen Karfreitagslösung bekommen zwar alle Arbeitnehmer in Österreich eine sehr komplizierte Regelung für den Anspruch auf einen besonderen Urlaubstag aus deren Urlaubsansprüchen, aber die Protestanten unter ihnen verlieren einen Feiertag.

Eh nur vier Prozent

Im Fernsehen darauf angesprochen, erklärte Kurz: Das treffe nur vier Prozent der Bevölkerung und sei daher akzeptabel. Auch hier ein interessantes Verständnis von Gleichheit vor dem Recht. Die Sonderregelung für Juden (Jom Kippur bleibt ein arbeitsfreier Tag) bleibt aufrecht und stört für Kanzler Kurz den Gleichheitsanspruch offenbar ebenfalls nicht. (Caspar Einem, 2.3.2019)


Caspar Einem (Jahrgang 1948) war zwischen 1995 und 2000 zunächst Innen- und später Verkehrsminister in SPÖ-geführten Bundesregierungen. Zuvor war er Manager bei der OMV.